Heuristiken und die damit einhergehenden Verzerrungen sind keine Verhaltensfehler oder gar Ausnahmen. Sie gehören zu unseren menschlichen Entscheidungen dazu. Das führt dazu, dass wir beispielsweise leicht beeinflussbar in unserem Kaufverhalten sind. Denn Unternehmen wissen sich "das System 1 ihrer Kunden zunutze zu machen", stellen Ökonom Enste und sein Team fest. Schauen wir uns also ein paar Heuristiken und Verzerrungen an.
- Ankerheuristik
Wenn Vereine oder NGOs Spenden sammeln, geben manche von ihnen bestimmte Beträge vor. Natürlich kann der Spender dann immer noch frei wählen, welche Summe er entrichten möchte. Dennoch fallen bei Organisationen, die höhere Beispielbeträge vorgeben, auch die Spendenaufkommen höher aus. Grund dafür istdersogenannteAnkereffekt.
- Was man hat, das hat man
Ein Beispiel: "Wenn Sie überlegen, wie viel Sie für ein Haus bezahlen sollten, werden Sie von der ursprünglichen Preisforderung beeinflusst", sagt Kahneman. "Dasselbe Haus wird Ihnen wertvoller erscheinen, wenn sein Listenpreis höher ist, als wenn er niedrig ist – selbst wenn Sie entschlossen sind, sich nicht von dieser Zahl beeinflussen zu lassen."
Der Verkäufer des Hauses wiederum könnte einen so hohen Preis nicht nur festgesetzt haben, weil er den größten Nutzen herausschlagen will. Er war vielleicht auch vomEndowment-Effekt beeinflusst:Wir schreiben Dingen, die wirbereitsbesitzen, einen höheren Wert zu. Daher bieten manche Unternehmen auch die Möglichkeit an, Produkte zeitweise zu Hause zu testen:Sie machen sich damit den Endowment-Effekt zunutze.
- Die Angst, zu verlieren
Und noch eine Verzerrung kann bei der Entscheidung, ein getestetes Produkt zu behalten, eine Rolle spielen:dieVerlustaversion. WirverlierenDingenicht gerne.
DahergewichtenwirVerlustein der Regelstärker als gleich große Gewinne– und treffen häufig risikoscheue Entscheidungen. Das kann schon bei den kleinen Urteilen im Alltag eine Rolle spielen – zum Beispiel beim Wocheneinkauf.
Verbraucher, die daran erinnert werden, dass sieden Kauf eines neuen, unbekannten Produktes möglicherweisebereuen werden,greifen eher zu altbekannten Markenartikeln. DieNo-Name-Produktelassen siedannim Regal stehen.
- Verfügbarkeitsheuristik
Stellen wir uns vor, dass wir heute von einer Stadt in die andere fahren wollen. Normalerweise würden wir den Zug nehmen – aber vor einer Woche ist ein schweres Unglück passiert. Obwohl wir die Streckeschon häufiger mit der Bahn gefahren sindund alles immer gut gegangen ist, wird uns nun plötzlich mulmig, wenn wirdaran denken, in einen Zug zu steigen.
Das liegt daran, dass das kürzlich geschehene Unglück als Assoziation in System 1 schnell verfügbar ist. Es kommt uns also direkt in den Sinn, wenn wir am Fahrkartenschalter stehen. Und so beeinflusst es nun unseren Piloten, der nun die irrationale Entscheidung fällt, dass wir lieber ein Ticket für den langsameren Bus kaufen sollten – nicht, dass noch ein Unglück geschieht. Auch wenn unsere Erfahrung und die Wahrscheinlichkeit dagegensprechen.
Verfügbarkeit von Produkten
Die mentale Verfügbarkeitder Informationwird also in die Entscheidung mit einbezogen.Das spielt auch für Unternehmen eine Rolle, wenn sie ihre Produktebewerben. Wenn uns der Name eines Produkts mit "großer Leichtigkeit in den Sinn kommt", so der Psychologe Georg Felser, könne diese Leichtigkeit als Indiz gewertet werden – beispielsweise für Popularität, langjährige Bewährung oder eine hohe Verbreitung.
- Repräsentativitätsheuristik
Eine weitere Faustregel beschreibt, dass wir von wenigen Beobachtungen auf das große Ganze schließen. "Was aussieht wie eine Ente, watschelt wie eine Ente, quakt wie eine Ente und auf dem Wasser schwimmt, wird wohl eine Ente sein", meint Felser.
Das lässt uns auch schnell von Prototypen auf die Allgemeinheit schließen: Was denkt man, wenn einem das Bild eines Professors mit weißen, leicht zerzausten Haaren vorgelegt wird? Lehrt er Philosophie oder BWL? Das Bild erfüllt eher unser Klischee vom Geisteswissenschaftler. Dass der Professor BWL unterrichtet, ist aber wahrscheinlicher – denn in der Disziplin gibt es schlichtweg mehr Lehrende.
Da liegt der Punkt: Zu misslungenen Urteilen kann die Heuristik vor allem dann führen, wenn wir andere wichtige Informationen wie Wahrscheinlichkeiten vollkommenvernachlässigen.
Noch ein Beispiel:Das eigeneBusiness
Nehmen wir mal an,wir haben ein Restaurant eröffnet. Wie gut sind die Erfolgsaussichten für unser Unternehmen? Um diese Frage zu beantworten, sollten wir schauen, wie hoch die Rate von Unternehmenspleiten ist – insbesondere die von Restaurants.
Laut Wirtschaftsnobelpreisträger Kahneman machen 60 Prozent aller neuen Gaststätten nach drei Jahren wieder zu. "In der Regel werden diese Raten unterschätzt", schreibt Psychologe Georg Felser. "Was freilich für die Motivation sicher eher günstig ist."
- Überoptimismus
Beim Unternehmerbeispiel kommt noch unser Hang zum Optimismus hinzu: "Die Wahrscheinlichkeit, Opfer von negativen Ereignissen zu sein, wird geringer eingeschätzt als die Möglichkeit, Nutznießer positiver Ereignisse zu sein", sagt Thomas Döring, Professor für Politik in Darmstadt.
Für unsere Motivation, ein Business an den Start zu bringen, ist dieser Optimismus positiv.Er führt allerdings auch dazu,
- dass Chancen über- und Risiken unterbewertet werden
- dass "Worst Case“-Szenarien nicht erkannt werden
- dass Menschen sich in ihren positiven Eigenschaften über- und in ihren negativen Eigenschaften unterschätzen
"Eine andere Unternehmung, bei der die Grundrate des Scheiterns regelmäßig außer Acht gelassen wird, ist übrigens das Heiraten", fügt Psychologe Felser hinzu. Das zeige allerdings, dass Fehlurteile "psychologisch durchaus ihren Sinn haben können".
Die Beeinflussung unseres Autopiloten
Aber nicht nur Heuristiken und kognitive Verzerrungen führen zu irrationalen Entscheidungen. Unser Autopilot, das schnelle Denken, lässt sich ebenso mit simplen Mitteln beeinflussen. Stellen wir uns vor, wir stehen vor einem ellenlangenRegal im Supermarkt. Es istvoller Gemüsesorten. Wir wissen: Wir wollen Pilze.
Aber: Es stehen Champignons und Steinpilze in drei verschiedenen Größen von fünf verschiedenen Anbietern zur Auswahl. Und da gibt es dann auch noch zwei verschiedene Verpackungsarten. Was nun? Die Entscheidung für Pilze mag keine großartige sein, mit der wir uns lange aufhalten. Aber sie zeigt, dass wir mit Infos und Wahlmöglichkeiten überfrachtet werden. Da ist unserbeeinflussbarerAutopilot gerne am Start.
Framing
Verbraucher greifen lieber zu einem Joghurt, der zu 80 Prozent fettfrei ist, als zu einem Joghurt, der einen Fettgehalt von 20 Prozent hat. Die Information an sich istidentisch– und dann auch wieder nicht:Denn wir werdendavon beeinflusst,wieunsEntscheidungsgrundlagenpräsentiertwerden.Das bezeichnet man als Framing-Effekt.
Priming
Auch durch Priming kann unsere Entscheidungam Supermarkt-Regalbeeinflusst werden.Und nicht nur die:Wir wissen heute, dass Priming-Effektein jeden Bereichunseres Lebens hineinreichen, so Wirtschaftsnobelpreisträger Kahnemann. Beispielsweise
- wie wir andere Personen wahrnehmen und bewerten
- welche Ziele und Strategien wir gegenüber anderen Personen verfolgen
- wie unser Verständnis von politischen Entscheidungen aussieht
- wie wir uns als Konsumenten und Konsumentinnen verhalten
Der Begriff spielt daher mittlerweile in vielen wissenschaftlichen Disziplinen eine Rolle.
Wie funktioniert Priming also?
Wir nehmenunbewusst Reize aus unserer Umgebung auf – beispielsweise Wörter oder Bilder. Diese wecken Assoziationen bei uns. Die wiederum beeinflussen dann unsere Entscheidung.Das nennt man Priming-Effekt. Ein Beispiel: Wenn im Supermarkt in der Weinabteilung französische Musik läuft, greifen wir eher zu einem französischen Wein als zu einem italienischen.
Noch effektiver wäre es vonseiten desMarkts, ein Werbeplakat auf dem Weg zum Laden aufzustellen. Auch dadurch werden wirgeprimt. Übrigens effektiver als durch die Fernsehwerbung am Abend, stellen Raab undUngerfest.
Nudging
Auch mit einem Nudge – einem "Anstupser" – können Menschen beeinflusst werden. Damit sie eine bestimmte Wahl treffen, werden sie praktisch in eine Richtung geschubst. Wer zum Beispiel bei einem Onlinehändler etwas bestellt, wird beim Check-out oftmals gefragt, ob er einen Newsletter abonnieren möchte. Manchmal ist das Häkchen dafür schon gesetzt. Das ist ein Nudge. Denn nun müsst ihr euch bewusstgegen den Newsletter entscheiden.
Aber: Ihr müsst die Wahl haben.Das ist wichtig beim Nudging: Der Ausstieg (Opt-out) muss möglich sein– wenn auch bewusst.